Der Helpensteiner Bildstock

Zu allen Zeiten haben Menschen aller
Religionen und Kultgemeinschaften versucht, Ihren Gott oder ihre Götter
nicht nur durch Gebet und frommen Lebenswandel, sondern auch durch
Opfergaben gütig zu stimmen. Die Art der Opfergaben ist sehr
unterschiedlich: Blumen, Pflanzen, Lebensmittel, gefertigte Gegenstände,
Steine, Geld, Edelmetalle, Edelsteine, Tiere und sogar Menschen wurden
und werden geopfert. Aber auch das Stiften von Gebetsstätten und
Tempeln, im christlichen Glaubensbereich von Klöstern, Kirchen, Altären
und – in bescheidenerer Form – Bildstöcken und Wegkreuzen, waren und
sind auch heute noch beliebt, der besonderen Verbindung zur Religion
Ausdruck zu verleihen.
Bei uns Christen ist es aber nicht so, dass die
Stiftung alleine genügt, um Seelenheil zu erwerben. Vielmehr soll der
gestiftete Gegenstand oder das gestiftete Gebäude die Gläubigen an die
ständige Notwendigkeit des Betens und des Dienstes am Nächsten erinnern.
Heute sind solche Stiftungen bei uns seltener geworden. Im Mittelalter
kam es häufiger dazu. Dabei sind die Beweggründe, die zu einer Stiftung
veranlassten, unterschiedlich: Man errichtete Kreuze im Feld und an
Wegrändern, wenn an dieser Stelle jemand schwer oder gar tödlich
verunglückt war. Die Hinterbliebenen wollten ein Gebet für den
Betroffenen erreichen und die Lebenden mahnen, ständig auf einen
plötzlichen Tod vorbereitet zu sein. Feldkreuze wurden auch errichtet,
um Gebet für eine gute Ernte zu erreichen. Dies war äußerst wichtig,
denn in den vergangenen Jahrhunderten war der Mensch viel viel mehr den
Unbilden der Natur ausgeliefert: Ungeziefer und Krankheit der Pflanzen
rafften ganze Ernten dahin. Ungünstige Wetterperioden konnten ebenfalls
schwere Folgen haben. Es gab keinerlei Spritzmittel und Kunstdünger, so
dass die Erträge des Feldes ohnehin um ein Vielfaches geringer waren als
heute. Immer wieder gab es große Hungersnöte.
Maria Telmes, die ehemals
älteste Einwohnerin von Helpenstein, traf den Nagel auf den Kopf, wenn
sie ihre Erfahrung preisgab: Früher meinten wir, es ginge nur mit “Oh,
Maria hilf³. Heute nehmen wir Kunstdünger. Nicht zuletzt waren es
schwere Unwetter, die in wenigen Minuten die Jahresarbeit vernichteten.
Erlittener Hagelschlag hatte immer wieder die Aufrichtung eines
Hagelkreuzes zur Folge. Es sollte die Landbevölkerung zum Gebet für eine
gedeihliche Witterung auffordern. Ein weiterer Grund, ein Kreuz oder
einen Bildstock zu errichten, war oftmals ein vorher abgelegtes
Gelöbnis. Der Stifter versprach bei schwerer Krankheit oder grober Not,
seinem Schöpfer oder seinem Fürsprecher ein Dankeszeichen zu errichten,
wenn er alles ohne Schaden überstehen würde.
Viele Wegkreuze wurden auch
als Stationen für verschiedene . (Bitt-) Prozessionen errichtet. So
auch der Bildstock in Helpenstein. Das Helpensteiner Bilderstöckchen ist
aus Liedberger Sandstein gefertigt. Es bedeckt eine Grundfläche von ca.
1 qm und ist bis zur Kreuzspitze gut 2 Meter hoch. Es besteht aus
mehreren Einzelblöcken. Der Bildstock hat die Form einer Säule, die oben
– bis auf die Rückseite – von einem Gesims umlaufen wird. Dieses Gesims
ist nach unten hin mehrfach abgestuft. Ein Satteldach bildet die
Abdeckung des Steines. Aus dem Dach wächst im Frontbereich (Giebel) ein
quadratischer Sockel, der das schmiedeeiserne Kreuz trägt. Dem Bildstock
vorgelagert ist eine etwas breitere Kniestufe. Der Giebel ist mit dem
Jesuszeichen J H S verziert.
Der Steinblock unter dem Gesims trägt eine lateinische Inschrift. Diese Inschrift ist bemerkenswert, da sie ein Chronogramm enthält. Dadurch, dass verschiedene Buchstaben größer geschrieben wurden, wird das Baujahr angegeben (in römischen Zahlen).
SALVATOR*NOSTER*VSQVE* INAETERNVM L + V + D + V + I + V + C + I + V + L + V + V + V + I + S + V + M 50 + 5 + 500 + 5 + 1 + 5 + 100 + 1 + 5 + 50 + 5 + 5 + 5 + 1 + 5 + 1000 = 1743 Übersetzung: Gelobt (sei) Jesus Christus unser Retter von jetzt an bis in Ewigkeit Unter dieser Inschrift befindet sich die Nische, die die Heiligenfigur (früher wohl auch dass Allerheiligste zu bestimmten Prozessionen) aufnehmen kann. Oftmals ist die Rückwand der Nische mit bestimmten, in Stein gehauenen Bildern geschmückt. Häufig wurde die Kreuzigungsgruppe abgebildet (z.B. in Glehn). Man kann davon ausgehen, dass dann kein weiteres Heiligenbild oder eine Figur aufgestellt war. Der Helpensteiner Bildstock ist diesbezüglich nicht verziert. Vermutlich hat er immer eine Heiligenfigur aufgenommen. Unter der Nische befindet sich die Weiheinschrift. Diese lautet: HERLICHKEIT * HAT * STATION * LASEN * WEIHT * JAHRLICHE DEN DAR * AN * ÜBER * GANZE * UND * FÜR * JOSEPH * WOLTHÄDER * 1743 Besonders bemerkenswert ist das Türchen des Bildstocks.
Es
stammt noch aus der Erbauungszeit und ist in Eisenblech ausgeführt. Es
ist in seiner Art ein einmaliges Beispiel einfacher bäuerlicher
Schmiedekunst in der Barockzeit aus dem Neusser Raum. Im oberen Teil
zeigt es das “Jesuszeichen³ J H S. Diese drei Buchstaben werden
volkstümlich “Jesus Heiland Seligmacher³ gedeutet. Die richtige Deutung
ist (verschieden): In Hoc Signo vinces = “In diesem Zeichen wirst du
siegen³. Der in der Buchstabenreihe fehlende Buchstabe V wird durch drei
Nägel unter dem Buchstaben H gebildet. Diese drei Nägel stehen
gleichzeitig für den dreifachen Schmerz, den Jesus erfahren hat: den des
Körpers, des Geistes und den des Herzens. Das über dem Querbalken des
Buchstaben H stehende Kreuz unterstreicht noch die Bedeutung als
Siegeszeichen.
Weitere Deutungen: Jesus Humilis Societatis = “Göttliche Gesellschaft Jesus³ und Jesus Habemus Socium = “Wir haben Jesus zu Gefährten³. Unter dem Jesuszeichen ist eine noch rätselhafte Buchstabenreihe angebracht: H * I * B * V * V Es folgt die Jahreszahl der Erbauung (1743) und zwei weitere Buchstaben I M. Im linken Teil der Tür sind als Zierelement zwei Blüten angedeutet. Die Deutung der Buchstaben ist bis jetzt noch nicht gelungen. Zuerst wurde davon ausgegangen, dass es sich hier um die Abkürzung einer Gebetsformel handelt.
Rückfragen im Clemens-Sels-Museum in Neuss bestätigten dies nicht.
Nach Dr. Tauch ist es zumindest keine gängige Formel. Er geht davon aus,
dass es sich hier um die Initiale der Stifter des Bildstocks handelt.
Wer war der Stifter des Bildstocks? In Helpenstein ist diesbezüglich
nichts überliefert worden. Nachforschungen im Kirchenarchiv der
Kirchengemeinde St. Peter in Hoisten waren ebenfalls erfolglos, zumal in
der kurzen Zeit nicht das gesamte Archiv überprüft werden konnte.
Da
aber in den letzten Jahren dieses Archiv gesichtet und geordnet wurde,
im Findbuch aber kein Hinweis auf das Bilderstöckchen in Helpenstein zu
finden ist, kann davon ausgegangen werden, dass kein Hinweis vorhanden
ist. In der Weiheinschrift heißt es zwar: “Die Herrlichkeit Helpenstein
hat diese Station aufrichten lassen …… Aber wer verbirgt sich hinter
dieser Angabe? Der Verfasser ist in diesem Punkt vermutlich zufällig
weitergekommen. Im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (Schloss Kalkum),
befindet sich das Helpensteiner Urkataster aus der Zeit um 1810. Hierbei
handelt es sich um eine äußerst genaue Aufzeichnung des Ortes
Helpenstein und seiner Umgebung mit allen Gebäuden und Grundstücken. Die
Grundstücke sind katastermäßig vermessen und eingezeichnet.
Alle
Gebäude wurden in rot eingezeichnet. Es fiel auf, dass sich ca. 15 bis
25 Meter hinter den Gebäuden kleine rote Punkte befinden. Es muss sich
also um feste Gebäude handeln. Die Bedeutung dieser Gebäude wurde zuerst
nicht klar. Erst eine Nachforschung bei älte ren Helpensteiner Bürgern
brachte die Erklärung: Sie erinnerten sich daran, das früher zahlreiche
Backhäuser in Helpenstein gestanden hatten. Viele konnten sich an einen
Backofen im Oberdorf erinnern, der ebenfalls eingezeichnet war. Waren
also diese relativ kleinen Bauwerke eingezeichnet, dann musste nach
meiner Meinung auch der Bildstock zu finden sein!
Er stand ja zu der
Zeit als die Karte gezeichnet wurde, schon ca. 65 Jahre! Aber vor dem
jetzigen Hof Deuss war nichts zu sehen. Dafür war an der Stelle, an der
jetzt die Gefallenenkapelle steht, an der Straße ein kleiner roter Punkt
eingezeichnet. Ein Backhaus kann dies normalerweise nicht gewesen sein,
da es im Vergleich zu den anderen Backhäusern viel zu nahe an den
Gebäuden steht. Das alte Spritzenhaus, dass an dieser Stelle vor dem Bau
der Kapelle gestanden hat, kann das auch nicht gewesen sein, da es erst
nach dem Dorfbrand 1861 gebaut wurde. Es muss also der Bildstock sein,
der dort eingezeichnet ist.
Da zu dieser Katasterkarte zufällig auch die
Liste der Grundstückseigentümer erhalten ist, kann unter Umständen hier
der Stiftername gefunden werden. Möglicherweise hat der damalige
Grundstückseigentümer den Bildstock aufrichten lassen. Links vom
eingezeichneten Stein verlief ein Graben, der in einem weiten Bogen von
der Erft kommend neben dem Bildstock in einem (Lösch- oder Flachs-)
Teich endete. Dieser Graben bildete die Grundstücksgrenze. Auf dem
kleineren, linken Grundstück stand ein Hof (Hermes). Auf dem rechten
Bildstockgrundstück stand der größte Hof des Dorfes. Er ist
untergegangen und noch nicht einmal in der Erinnerung der ältesten
Dorfbewohner überliefert. Dieser Hof sticht sofort ins Auge: Das
Grundstück, auf dem er steht, ist für damalige Verhältnisse riesig groß.
Es erstreckte sich in der Tiefe bis an die Erft und verläuft dann an
der Straße bzw. dem Feldweg nach Eppinghoven hin bis zum Wald vor
Eppinghoven.
Was verblüfft, ist der Eigentümer. Es waren die Grafen von
Bentheim-Tecklenburg-Rheda. Diese hielten den “Rest³ der
frühmittelalterlichen Herrschaft Helpenstein. Diese war ja im Jahre 1378
vom Kölner Erzbischof eingezogen worden, nachdem Friederich von
Helpenstein seinen Bruder im Streit erschlagen hatte und aufgrund dessen
hingerichtet wurde.
Die Herrschaft Helpenstein – darunter muss man sich Ländereien und vor allen Dingen den Besitz von Rechten an Ländereien, verbunden mit Zehnt- und Zinsrechten vorstellen – war dann später vom Erzbischof als Lehen vergeben (verpachtet) worden. Die Herren von Bentheim hatten dieses Lehen lange Zeit in Besitz. Sie waren die Herren der Herrlichkeit Helpenstein. Waren sie es auch, die den Bildstock stifteten? Verbargen sie sich hinter der Bezeichnung “Herrlichkeit Helpenstein³, die als Aufrichter der Station genannt wird? Die Herren von Bentheim-Tecklenburg-Rheda kommen als Stifter nicht in die engere Auswahl. Sie waren evangelisch. Es könnte sehr gut sein, dass der Pächter des Hofes der Stifter oder einer der Stifter ist. Die Klärung dieser Frage muss vorerst zurückgestellt werden.
Wann der Bildstock an den alten Standort vor dem Hof Deuss versetzt wurde, ist ebenfalls nicht überliefert. Dies geschah vermutlich im Zusammenhang mit dem Verkauf des Grundstückes, auf dem der Stein ursprünglich gestanden hat und mit dem Bau des Spritzenhauses für die 186162 angeschaffte Feuerwehrspritze, die mit ihrem Zubehör trocken aufbewahrt werden musste. Möglicherweise wollte man den Bildstock mehr in die Mitte des Dorf es rücken.
An
dieser Stelle sollte der Bildstock über 100 Jahre stehen bleiben.
Anfang der 70iger Jahre wurde er abgebrochen, da er aufgrund des
Straßenneubaues weichen musste. Man richtete ihn dann ca. 2 -3 Meter
hinter dem jetzigen Standort auf. Auch dort musste er wegen
erforderlicher Kanalarbeiten abgebrochen werden. Danach wurde er ca. 8
Meter hinter dem jetzigen Standort aufgerichtet. Die Neuaufrichtung
erfolgte denkbar unsachgemäß.
Der Fundamentblock des Bildstocks wurde
über der Erde verlegt. Dadurch stimmten die Proportionen nicht mehr. Das
Bauwerk wirkte viel zu hoch. Außerdem geriet jetzt die Kniestufe vor
dem Bildstock zu tief, so dass man nicht mehr in das Tabernakel schauen
konnte wenn man kniete. Dieser Zustand wurde durch eine 1989 begonnene,
grundlegende Restaurierung, die aus der Oktoberfestkasse unter
Mitwirkung der Stadt Neuss – sie ist Eigentümerin des Bildstocks –
finanziert wurde, behoben. Das Gebäude wurde näher an die Straße
versetzt und richtig aufgebaut.
Erfreulicherweise hat die Familie Telmes
ein paar Quadratmeter ihres Gartens zur Verfügung gestellt, so dass
auch das Umfeld würdig gestaltet werden konnte. Hubert Oehmen aus Speck
schmiedete ein neues Kreuz, das er nach barockem Vorbild (Glehn)
fertigte. Dieses Kreuz wurde zum Abschluss der Restaurierungsarbeiten
dem Bildstock aufgesetzt. Jetzt fehlt nur noch eine neue St.
Josefs-Figur. Diese wurde -ebenfalls aus der Oktoberfestkasse finanziert
– von dem 25-jährigen Steinbildhauer Sven Rünger aus Düsseldorf
gefertigt.
Damit ist der Bildstock aufgrund der großzügigen Bereitschaft der Dorfgemeinschaft, hierfür Mittel (und Arbeitszeit) zur Verfügung zu stellen, wieder komplett hergestellt.